Sex und Solidarität – Theaterstück rund ums Schwulsein
Grandioses Drama sorgt in Wien für Standing Ovations
Die in Österreich gezeigte Erstaufführung des Theaterstücks «Das Vermächtnis» beeindruckt das Publikum.
Kein anderes Theaterstück setzt sich so intensiv und tiefgründig mit schwulen Lebensgeschichten auseinander wie «Das Vermächtnis». Das Drama von Matthew López gilt als eines der bedeutendsten schwulen Bühnenstücke und hat weltweit zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Auch die jetzt in Wien gezeigte österreichische Erstaufführung begeistert das Publikum. Es wird gelacht und geweint. Fällt nach sieben (!) Stunden der Vorhang, erhebt sich das Publikum von ihren Plätzen und spendet tosenden Applaus.
Im Mittelpunkt des Stücks steht die Frage, wie Schwulsein gelebt werden kann. Verfolgen schwule Männer egoistisch den eigenen Weg, wählen sie rechte Parteien und benutzen sie andere rücksichtslos beim Sex? Oder arbeiten sie ihre Traumata auf, zeigen Mitgefühl sind solidarisch mit trans Geschwistern, Obdachlosen und People of Colour?
Sex mit Drogen und Gewalt Die Wörter «ficken», «gefickt werden» und «fick dich» sind an dem Abend besonders oft zu hören, denn es werden heftige Emotionen ausgedrückt. Auf die schwule Welt wird schonungslos in allen Facetten eingegangen wie Drogenmissbrauch, Chemsex (Sex mit chemischen Substanzen), ungeschütztem Sex, die Einnahme von Prep, Gewalt und ein Gangbang. Bei Letzterem steht ein junger Schwuler im Mittelpunkt der sexuellen Aktivität von mehreren Männern, wobei er als Sexobjekt missbraucht wird. Das Ganze artet in blutige Gewalt aus, denn der junge Mann kann sich nicht wehren und wird trotz Hilfeschreie von seinem Partner nicht geschützt.
In dem Stück gibt es Heiratsanträge und eine schwule Hochzeit, in denen von Liebe nichts zu spüren ist. Einmal wird Liebe von einem Mann als schlimmes Gefühl bezeichnet, weil er es nicht betäuben kann. «Das Vermächtnis» ist aber nicht nur ein trauriges Stück. Es wird auch viel gelacht, weil manche Szenen so absurd komisch sind. Zu sehen sind auch berührende Momente wie eine trauernde Mutter, die ihren Sohn an Aids verloren hat, und die Solidarität von Schwulen mit HIV-Erkrankten und einem obdachlosen Sexarbeiter, der schon in der Kindheit viel Ausgrenzung erfahren hat.
Wie eine fesselnde Netflix-Serie Dem Regisseur Elmar Goerden gelingt es im Wiener Theater in der Josefstadt, ein Drei-Generationen-Drama von Schwulen in New York wie in einer fesselnden Netflix-Serie zu zeigen. Dem Publikum wird nicht langweilig. In den Pausen, die wegen der Länge notwendig sind, fragen sich die Zuseher*innen, wie es weitergeht. Das Stück thematisiert die HIV-Epidemie in den 1980er Jahren und spielt bis in die Gegenwart, in der US-Präsident Donald Trump mit den Worten «machen wir Amerika grösser, machen wir Amerika stolzer» zu hören ist. Ein schwuler Arzt möchte wegen Trump auswandern. Er vergleicht die Situation in den USA wie mit den Passagier*innen während der letzten Minuten auf dem Kreuzfahrtschiff Titanic.
Im Mittelpunkt des Stücks stehen Toby Darling und Eric Glass, die in der New Yorker Upper-West-Side wohnen. Sie sind schon mehr als sieben Jahre zusammen, als es in der Partnerschaft so richtig kriselt. Die Mutter von Eric ist eine deutsche Jüdin, die vor dem Holocaust nach New York floh. Toby und Eric haben einen grossen Freundeskreis wie ein schwules Paar, das eine Familie gründen und Kinder bekommen möchte. Im Gegensatz zu Eric ist Toby ist ein rücksichtsloser Egoist. Nach der Trennung von Eric macht sich Toby an den Sexarbeiter Leo heran. Leo ist ein Schönling, aber ein «lost boy», ein verlorener Junge. Er ist liebesbedürftig, hat aber schon in jungen Jahren erkannt, wie er seinen Körper zur Ware machen kann. Er wird von anderen schwulen Männern körperlich und emotional benutzt.
Schwuler Republikaner als Dealmaker Eric Glass geht nach der Trennung von Toby Darling einen anderen Weg. Er fokussiert sich auf den schwulen Milliardär und New Yorker Immobilienmakler Henry Wilcox. Dieser steht für einen reichen und privilegierten weissen Schwulen, der die Republikaner*innen von Donald Trump wählt. Für Henry ist Geld das Wichtigste. Bei einem Brunch im Freundeskreis erzählt er, dass die Pharmaindustrie die Medikamente gegen Aids nicht aus humanitären Gründen, sondern nur aus Profitgier entwickelt habe. Daher wähle er die Republikaner*innen, weil diese die unternehmerische Freiheit hochhalten. Henry hat zwei Söhne. Er konsumiert Sexarbeiter und lässt mit Sätzen wie «Was kümmert mich, wen ich ficke» aufhorchen.
Henry gilt als Dealmaker. Um seinen Gefühlen zu entfliehen, geht Henry mit Eric einen «Ehe-Deal» ein. Im Laufe des Stücks wird deutlich, dass der Republikaner-Wähler Henry ein altes Trauma nicht aufarbeiten will. Er tut alles, um seine emotionale Schmerzen zu. unterdrücken. Henry läuft von seinen Gefühlen davon. «Das Vermächtnis» ist ein Stück über gebrochene Herzen und schwule Traumata, aber auch von Liebe und Solidarität. Anders als Heteros haben schwule Männer oft viele Traumata erlebt. Das Drama zeigt auch, dass Traumata geheilt werden können und dass es sich lohnt, Gefühle nicht zu unterdrücken und sich auf die Liebe einzulassen.
Grossartige Schauspieler*innen Die schauspielerische Leistung bei dem siebenstündigen Theater-Marathon ist grossartig. Vor allem Nils Arztmann (als Leo) und Raphael von Bargen (als Toby) ragen heraus. Im Wiener Theater in der Josefstadt wird das Stück bis Mitte Juni in zwei Varianten gezeigt. An Wochenenden besteht die Möglichkeit, beide Teile als Doppelvorstellung zu sehen. An Wochentagen werden die beiden Teile einzeln gezeigt.
Mehr: In Wien wird das Stück «Patient Zero 1» von Markus Peter Tesch aufgeführt. Es spielt in einer queeren WG zwischen HIV- und Corona-Pandemie (MANNSCHAFT berichtete).
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