«Krankhaft»: Erschreckende Zunahme bei queerfeindlichen Diskriminierungsfällen
Ein Viertel aller Personen, die bei der Antidiskriminierungsstelle Rat suchten, meldete Diskriminierung durch staatliche Stellen
Der am Dienstag veröffentlichte Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) verzeichnet u.a. einen deutlichen Anstieg der erfassten Diskriminierung gegen trans, inter und nicht-binäre Personen.
Rassistische Diskriminierung führe die Statistik mit 43 Prozent weiterhin an, sagte Ferda Ataman, die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes. Gefolgt wird das von Benachteiligungen aufgrund von Behinderung und Geschlecht. Besonders betroffen sind demnach Frauen: Die Zahl der Fälle hat sich Ataman zufolge in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt.
Doch auch die Zunahme von Diskriminierung von LGBTIQ ist besorgniserregend. Dazu erklärt Nyke Slawik, queerpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, in einer Pressemitteilung: «Dass sich die Zahl der trans, inter und nicht-binären Personen, die Rat gesucht haben, in den vergangenen fünf Jahren fast verdreifacht hat, ist bestürzend. Spätestens diese steigenden Zahlen sollten die Bundesregierung endlich in Bewegung bringen, mehr zum Schutz marginalisierter Gruppen zu tun.»
Polarisierung und falsche Stereotype
Laut dem Bericht meldeten sich im vergangenen Jahr 388 Menschen bei der ADS, weil sie wegen ihrer Geschlechtsidentität benachteiligt wurden. 2019 waren es nur 144 Diskriminierungsfälle.
Slawik sieht einen Grund in der Zunahme der Diskriminierungsfälle darin, dass in der Öffentlichkeit zunehmend polarisiert über das Thema Geschlechtsidentität gesprochen werde: «In den letzten Jahren sind trans Personen selbst sichtbarer, aber auch viele Unwahrheiten und falsche Stereotype über sie verbreitet worden. Diese teils feindselige Stimmungsmache schlägt sich nun auch im Alltag nieder. Statt positive Entwicklungen wie das Selbstbestimmungsgesetz mit einer übereilten Evaluation in Frage zu stellen, sollte die Bundesregierung sich mit Betroffenen solidarisieren und ernsthaft darüber nachdenken, wie Diskriminierungen im Alltag abgebaut werden können.»
Laut dem Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes meldeten rund ein Viertel aller Ratsuchenden Diskriminierung durch staatliche Stellen. Zwar schützt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in den Bereichen Arbeitsmarkt und Alltagsgeschäften vor Diskriminierung. Aber auch in den nicht vom AGG erfassten Bereichen, bspw. bei Ämtern und Behörden erleben Menschen Diskriminierungen: So berichtet die ADS von einem Fall, wo ein schwules Paar von einem Jugendamt als «krankhaft» bezeichnet wurde, was aber nach AGG nicht als Diskriminierung geahndet werden kann (MANNSCHAFT berichtete).
«Ein schwules Paar wurde von einem Jugendamt als krankhaft bezeichnet»
Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Öffentliche Stellen werden nicht erfasst
Slawik findet dazu klare Worte: «Wenden sich (queere) Eltern oder Paare an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, weil sie etwa durch Jugendämter oder Familiengerichte benachteiligt werden, ist die ADS auf der bestehenden Rechtsgrundlage also nur bedingt in der Lage zu unterstützen, weil das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz öffentliche Stellen nicht erfasst.»
Slawik kritisiert weiter: «Seit seiner Verabschiedung vor fast 20 Jahren wurde das AGG nicht reformiert. Die Fälle und Zahlen aus dem Jahresbericht der ADS unterstreichen den dringenden Reformstau einmal mehr: Die Bundesregierung muss das AGG endlich anpassen. Wie? Indem sie insbesondere den Rechtsschutz wirksamer ausgestaltet, eine Verbandsklagerecht einführt und den Anwendungsbereich des Gesetzes auf öffentliche Stellen ausweitet!»
Darüber hinaus müsse die Bundesregierung, so Slawik, dringend Sensibilisierung von Sicherheitsbehörden, Ämtern und Behörden stärken, um präventiv Diskriminierungen in öffentlichen Stellen entgegenzuwirken.
Ataman befürwortete auf der Pressekonferenz auch ein AfD-Verbotsverfahren (MANNSCHAFT berichtete). «Das Bundesverfassungsgericht sollte die Möglichkeit bekommen, das zu prüfen.» Es sei zu beobachten, dass sich mit den steigenden Zustimmungswerten für die Partei mehr Menschen legitimiert fühlten, diskriminierende Bemerkungen zu machen.
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