Lola bleibt brav – Queere Geschichten weiter auf Nebenschauplätzen
Es ginge noch mehr
Beim 75. Deutschen Filmpreis dominieren erneut heteronormative Erzählungen – queere Perspektiven bleiben rar. Einige Ausnahmen gibt es, doch von echter Vielfalt ist das deutsche Kino noch weit entfernt. Der Kommentar* von Patrick Heidmann.
Am Freitag (9. Mai) wird der Deutsche Filmpreis verliehen, und man muss kein Experte in der Geschichte dieser Veranstaltung sein, um zu wissen: Besonders queer ging es bei diesem seit 1999 auch Lola genannten Preis noch nie zu.
Rainer Werner Fassbinder hat 1970 für «Katzelmacher» gewonnen, 1991 dann Werner Schroeter für seine Bachmann-Verfilmung «Malina». Ausserdem gehören Sönke Wortmanns Ralf König-Adaption «Der bewegte Mann» und der auch von einer lesbischen Romanze erzählende «Auf der anderen Seite» von Fatih Akin zu den Filmen, die über die Jahre den Hauptreis mit nach Hause nehmen durften. Viel mehr LGBTIQ-Momente gab es in all den Jahren eigentlich nicht zu vermelden.
Auch in diesem Jahr wird keine queere Geschichte bei der von Christian Friedel moderierten Veranstaltung eine Lola in Gold, Silber oder Bronze für sich verbuchen. In den sechs in der Hauptkategorie nominierten Filmen stehen ausschliesslich heterosexuelle cis Personen im Mittelpunkt, sei es in den Oscar-nominierten Filmen «Die Saat des heiligen Feigenbaums» und «September 5», in «In Liebe, Eure Hilde» und «Vena» oder auch den Berlinale-Lieblingen «Islands» und «Köln 75».
Keine Frage, das ist ärgerlich. Auch und gerade deswegen, weil diese desolate Situation sinnbildlich dafür ist, auf welch verlorenem Posten Queerness im deutschen Kino allgemein zu stehen scheint (und das Interesse daran sinkt eher noch mehr als das es steigt, so berichten dieser Tage viele queere Filmschaffende).
Warum LGBTIQ-Themen und -Figuren in hiesigen Kinoproduktionen und entsprechend auch beim Deutschen Filmpreis eine derart untergeordnete Rolle spielen, ist eine Diskussion, die ob ihrer Weitläufigkeit und Komplexität an anderer Stelle geführt werden muss.
Für den Moment darf man erst einmal herzlich bedauern, dass der ganz wunderbare, aber eben auch sehr kleine Film «Sad Jokes» des schwulen Regisseurs und Schauspielers Fabian Stumm, der im vergangenen Jahr mit das Schönste und Queerste war, was das deutsche Kino zu bieten hatte, es nicht unter die sechs Nominierten in der Kategorie Bester Film geschafft hat.
Doch gerade «Sad Jokes» zeigt eben auch: mindestens in den anderen Kategorien lässt sich dann doch auch Queeres entdecken. Für seine Rolle in Stumms Film ist Godehard Giese, einer der Mit-Initiator*innen der Action «Act Out» (MANNSCHAFT berichtete) als Bester Nebendarsteller nominiert (übrigens zum zweiten Mal in seiner Karriere).
Als Bester Hauptdarsteller darf sich Sam Riley Hoffnungen machen für seine Rolle als schwuler Choreograf im Ballett-Biopic «Cranko» (und ist für «Islands» gleich ein zweites Mal nominiert). Und «Kein Tier. So Wild», in dem Burhan Qurbani Shakespeares «Richard III.» gehörig auf den Kopf stellt und die famose Kenda Hmeidan als lesbische Neuköllner Anwältin Rashida York zur Protagonistin macht, darf dank des starken Scores von Dascha Dauenhauer wenigstens in der Kategorie Beste Musik hoffen.
So sehr man vor allem «Sad Jokes» und dem ambitionierten «Kein Tier. So Wild» mehr Nominierungen gewünscht hätte, so sehr muss man auch feststellen: Von den wenigen für den Deutschen Filmpreis 2025 in Frage kommenden Spielfilmen, in denen queere Figuren im Fokus standen, wurden immerhin drei nicht ignoriert.
Lediglich Angelina Maccarones «Klandestin», das Religionsdrama «Gotteskinder» sowie «Die feige Schönheit», ein Skate-Film mit einer non-binären Person im Zentrum, wurden bei den Nominierungen komplett übergangen. Und die charmante Tragikomödie «Feste & Freunde», in der Jasmin Shakeri und Katia Fellin ein lesbisches Paar spielen, geht ohnehin nicht wirklich als queerer Film durch.
Aber wo wir gerade bei einem positiven Blick auf die diesjährige Lola-Verleihung sind: immerhin sind unter den Nominierten auch ein paar queere Filmschaffende. Nicht nur der bereits erwähnte Godehard Giese, sondern zum Beispiel auch der Produzent Fred Burle, einer der Verantwortlichen hinter «Köln 75» und überhaupt aktuell einer der spannendsten Produzenten hierzulande, für den deutsches Kino auch internationale Koproduktionen wie kürzlich etwa Ira Sachs‘ «Peter Hujar’s Day» mit Ben Whishaw umfasst.
Das Mäntelchen des Schweigens decken wir aus queerer Sicht derweil über die Kategorie Bester Dokumentarfilm. Hier hätte es durchaus Filme mit LGBTIQ-Thematik gegeben, die für eine Nominierung in Frage gekommen wären, von Markus Steins «Baldiga – Entsichertes Herz» über «Der Wunsch» über ein lesbisches Paar mit Kinderwunsch bis hin zum Biopic «Teaches of Peaches».
Aber das am Ende nun «Hollywoodgate», «Petra Kelly – Act Now!» und «Riefenstahl» die Lola unter sich ausmachen werden, geht zumindest aus qualitativer Sicht durchaus in Ordnung. Was nicht heissen soll, dass der Deutsche Filmpreis in Zukunft nicht trotzdem gerne eine Ecke queerer werden dürfte.
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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